Die AIDS-Katastrophe in Odessa
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Dort ist bereits jeder Zehnte nach Schätzungen der Vereinten Nationen mit dem tödlichen Aidsvirus infiziert  

Ohne wirksame Aufklärung und medizinische Hilfe könnte die Seuche am Rande Europas bald wüten wie sonst nur in Afrika. Der Berliner Fernsehautor Karsten Hein hat einen erschütternden Dokumentarfilm über das Leid der Aidskranken von Odessa gedreht. Zum Weltaidstag am 1. Dezember wird der Film in mehr als 30 deutschen Städten zu sehen sein.

Wenn in Kiew in diesen Tagen Tausende für mehr Demokratie in der Ukraine demonstrieren, sind die Kameras der Weltpresse dabei. Über die Aids-Katastrophe von Odessa gab es bisher keine Bilder. Als einer der ersten Filmemacher ist Hein (41) deutschen und ukrainischen Medizinern in die Elendsquartiere und Krankenhäuser der Stadt gefolgt. Dorthin, wo ausgemergelte Aidspatienten fast ohne ärztliche Hilfe auskommen müssen und vor Schmerzen schreien.

Das staatliche Gesundheitswesen, beweist Autor Hein in seinen Interviews, spielt das Drama bewusst herunter. Dabei ist Odessa nur ein Beispiel in Osteuropa. Nach dem jüngsten Weltaidsbericht weisen Russland und die Ukraine die höchsten Ansteckungsraten auf. Doch Aufklärungs- Kampagnen bleiben rar, weil das Problem verharmlost oder verdrängt wird. «Es ist eine Ignoranz wie man sie früher nur aus afrikanischen Ländern kannte», sagt der Berliner Klinikarzt Keikawus Arastéh. Der HIV-Spezialist organisiert seit zwei Jahren einen Mediziner-Austausch mit Odessa. Im Sommer 2003 hat sich das Filmteam den Berliner Helfern am Schwarzen Meer angeschlossen.

Nach Arastéhs Kenntnis gab es 1995 rund 270 HIV-Infizierte in der Ukraine. «Nun sind es mehr als 500.000», schätzt der Arzt. Noch preist sich Odessa gern als «Mailand des Ostens». Wenn in wenigen Jahren bei Tausenden unbehandelter HIV-Infizierter Aids ausbricht, könnte die Perle am Schwarzen Meer zur Totenstadt werden.

HIV wütet vor allem unter den unzähligen Junkies der Stadt. Durch Odessa laufen Routen der Drogenkuriere, der Mohnanbau in der Umgebung floriert. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs galten Drogen in der Ukraine als chic. «Man zog sich gut an, man roch nach Parfüm», erinnert sich Junkie Sascha vor der Kamera. «Entweder warst Du ein Jäger oder ein Tier. Ich wollte ein Jäger sein.» Heute ist Sascha aidskrank. «Er steht vor der Ikone und bittet Gott um den Tod», flüstert seine verzweifelte Mutter.

Vor allem durch den Drogenkonsum verbreitet sich das Aidsvirus noch immer rasend schnell in Odessa. Doch die Seuche wird totgeschwiegen, aus Scham und Angst. Die wenigsten Junkies lassen sich überhaupt noch testen. Denn wer HIV-positiv ist, gilt als «Abfall der Gesellschaft». Er wird zum Ausgestoßenen. HIV-Zwangstests habe die Gesundheitsbehörden abgeschafft, als sich die Zahlen der Positiven häuften, erklärt ein ukrainischer Arzt das Fehlen offizieller, realistischer Zahlen.

«Wir haben in Odessa schreckliche Dinge gesehen», sagt Filmautor Karsten Hein. «Die Gefühlskälte, die Lethargie und der hohe Grad an Verwahrlosung kamen mir vor wie das Ende einer Zivilisation.» Selbst bei ausländischer Hilfe für Aidspatienten sei Vorsicht geboten. Auch manche ukrainischen Ärzte wirtschafteten in die eigene Tasche. «Es ist das Aids der Seele, das all jene befallen hat, die rücksichtslos auf Profit aus sind», sagt ein Geistlicher zum Schluss resigniert in die Kamera.

(Internet: Website zum Film «So wollen wir nicht sterben. Aids in Odessa»: www.aids-ukraine.com)

http://www.gesundheitpro.de/PGG/PGGA/pgga.htm?line=1&ressort=11400&rubrik=11411&snr=17755

dpa/GesundheitsPro