Situation

Seit spätestens 1995 ist die Ukraine mit einer epidemisch umsichgreifenden Drogensucht konfrontiert. In ihrer Folge konnten sich die HIV-Epidemie und eine neuerliche Tuberkuloseepidemie ungehemmt ausbreiten. In der Ukraine leben ca. 47 Millionen Menschen (WHO, 2008). Geschätzte Menschen über 15 Jahre sind mit dem HI-Virus infiziert, 170,000 davon sind Frauen. Insgesamt wird in der Altersgruppe der 15-49jährigen von einer Prävalenz von 1.1% ausgegangen (UNAIDS, 2009). Waren es zu Beginn der Epidemie fast ausschließlich Menschen die durch gebrauchte Spritzen das HI-Virus weitergaben, verbreitet sich das Virus mittlerweile verstärkt auch durch sexuelle Kontakte in der Allgemeinbevölkerung. Frauen sind hierbei mehrfach gefährdet, wenn sie der Prostitution nachgehen. Außerdem ist die Mutter-Kind-Transmission weiterhin hoch, auch wenn laut UNAIDS (2008b), bei 95% aller schwangeren Frauen in der Ukraine 2006 ein HIV-Test durchgeführt werden konnte und 93% der positiv Getesteten während der Schwangerschaft und der Entbindung eine Antiretrovirale Therapie erhielten. Gefährdet sind zudem Straßenkinder, die frühzeitig mit dem Drogenkonsum beginnen und keinen Zugang zu Beratung, Testung und medizinischer Versorgung haben (UNICEF, 2008) Daß sich die Epidemie derart ungebremst ausbreitete auch 2008 noch nicht unter Kontrolle ist (Elo, 2008), scheint vielfältige Gründe zu haben: Die Epidemie wurde nicht nur sehr spät erst zur Kenntnis genommen, sondern ihr Ausmaß lange geleugnet. Sie traf mit der Ukraine ein Land, das sich mit Auflösung der Sowjetunion in einem schmerzhaften Umwandlungsprozess befand (der noch lange nicht abgeschlossen ist). Für viele Menschen bedeutete der Zusammenbruch der Sowjetunion Arbeitslosigkeit und Armut und den Verlust von Orientierung und Hoffnung. Das Wirtschafts- und Sozialsystem der Sowjetunion war zerstört, ein neues ist noch nicht wieder aufgebaut. Der Großteil der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze (Bennett & Janssen, 2000). Es ist daher davon auszugehen, dass die allermeisten Menschen mit ihren eigenen Sorgen, d.h. dem bloßen Überleben beschäftigt sind und die ukrainische Gesellschaft heute von Entsolidarisierung geprägt ist. Besonders schwerwiegend ist auch, dass eine HIV-Infektion stark tabuisiert ist und Menschen mit HIV und AIDS massiven Diskriminierungen ausgesetzt sind. Insbesondere Menschen, die Drogen intravenös gebrauchen und der Prostitution nachgehen, aber auch Straßen- und Waisenkinder sind massiven Stigmatisierungen und Diskriminierungen ausgesetzt. Sie leben am Rand der Gesellschaft. Aus berechtigter Angst vor Strafverfolgung und jahrelangen Gefängnisaufenthalten leben sie zurückgezogen in der Anonymität und sind somit schwer zu erreichen für zielgruppenspezifische Prävention und Behandlung. Zudem sind Harm-Reduction-Programme (Substitution) weder in der Bevölkerung noch bei den politischen Entscheidungsträgern hinreichend akzeptiert (Elo, 2008). Einzelne Modellprojekte mit jeweils ca. 20-50 Personen gibt es mittlerweile vor allem in den am schwersten betroffenen Regionen der Ukraine - den Bezirken Odessa, Mikolajew, Dnjepropetrowsk und Donezk. Vernetze Kooperationen in der AIDS-Bekämpfung sind bis heute kaum vorhanden. Auch international wurde dem Problem lange keine Bedeutung beigemessen. Einen wichtigen Einfluss auf den Verlauf der HIV-Infektion/AIDS-Erkrankung hat auch der allgemeine Zugang zur Versorgung und zur medikamentösen Behandlung. Der Ausbruch von AIDS und (das frühzeitige) Auftreten von opportunistischen Infektionen kann mit der Antiretroviralen Therapie (ART) viele Jahre aufgehalten werden. Die Medikamente sind jedoch eine enorme finanzielle Belastung, für das Gesundheitssystem und die Betroffenen. Die ukrainische Verfassung garantiert zwar weiterhin eine kostenlose kurative Versorgung. In der Realität sind jedoch Untersuchungen und Medikamente oft kostenpflichtig. Eine ART bekommen trotz internationaler finanzieller Unterstützung lediglich wenige tausend Menschen, und wenn, dann häufig nur eine so genannten First-Line-Behandlung, das heißt eine einzige Behandlungslinie ohne Ausweichmöglichkeiten, falls sich Resistenzen bilden oder die betreffenden PatientInnen die Therapie nicht vertragen. Hinzu kommt, dass die ART täglich zu festen Zeiten eingenommen werden muss, um die Gefahr der Resistenzbildung zu verhindern. Ein Leben lang. Die notwendige Therapietreue (Compliance) ist unter den angedeuteten Lebensbedingungen oft schwierig. Internationale Hilfe zur Bekämpfung ist eng verwoben mit den nationalen, politischen Veränderungen und mit dem Veränderungswillen der jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Kräfte. Die Bekämpfung kann dann erfolgreich werden, wenn sie einen langfristigen hohen Stellenwert auf der politischen Agenda erhält. Dringend notwendig sind massenmediale und zielgruppenspezifische Präventionsangebote und Programme, die ein soziales Klima schaffen, das gegen Stigmatisierung und Ausgrenzung von Menschen mit HIV und AIDS gerichtet ist. Trotz fehlender repräsentativer Studien wird davon ausgegangen, dass der Wissensstand über HIV-Risiken und Schutzmöglichkeiten in der Bevölkerung sehr gering ist. Nur Wenige wissen von der eigenen Infektion, denn es bestehen kaum Anreize, sich testen zu lassen. Die Behandlung ist teuer und eine HIV-positive Diagnose bedeutet zusätzliche Ausgrenzung. Nicht nur Präventionsprogramme für die Bevölkerung und Medikamente sind notwendige Bausteine in der Bekämpfung der HIV-Epidemie. Diagnose, Therapie und Pflege bei HIV sind sehr komplex und in den Gesundheitsberufen bestehen große Wissensdefizite über den Verlauf oder die Behandlung einer HIV-Infektion. Dementsprechend wichtig sind, unter Berücksichtigung der Bedingungen vor Ort, Fortbildungen von Multiplikatoren und Multiplikatorinnen im Gesundheitswesen über aktuelle medizinische Entwicklungen, über international anerkannte Therapie- und Pflegeleitlinien sowie über das komplexe Feld der psychosozialen Einflüsse auf die Lebensqualität der Betroffenen. Einen Beitrag zur Bekämpfung der Epidemie soll mit diesem Portal geleistet werden, indem Berichte und Analysen zur Situation und zum Verlauf der HIV-Epidemie öffentlich gemacht und die Arbeit Deutsch-Ukrainischer Partnerschaftsprojekte vorgestellt werden.

Quellen:

Bennett, J. und Janssen, S. (2000): Armut und Wirtschaftspolitik in Transformationsländern. Teil II: Länderberichte: Ukraine.
Elo, Olavi 2008: Final Results of Comprehensive External Evaluation of the National Response to AIDS. Stakeholders Meeting Ministry of Health of Ukraine. July 23, 2008. (PDF, 160KB)
UNAIDS 2008a: EPIDEMIOLOGICAL FACT SHEETS, 2008
UNAIDS 2008b: 2008 Report on the global AIDS epidemic.
UNICEF 2008: Ukraine: Kinder vor AIDS schützen.)
WHO 2008: WORLD HEALTH STATISTICS 2008.
Unaids: HIV AND AIDS ESTIMATES (2009)

29.10.2008 | Kategorie:

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